F. William Engdahl

Hintergrundanalyse:
Trumps Handelskrieg ist nichts Neues

Der Wirtschaftskrieg der Regierung Trump ist ein durchdachter Angriff auf Freund und Feind gleichermaßen. Russland, China, Iran und Venezuela werden genauso mit Strafzöllen belegt wie die EU. Das einzig Neue daran ist ein amerikanischer Präsident, der Tweets als Waffe dafür nutzt, seine Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Spätestens seit den 1970er-Jahren arbeitet Washington mit einer derartigen Taktik: Die Wirtschaft des Gegenübers wird als Geisel genommen und destabilisiert. Dabei geht es nicht so sehr darum, eine globale Dominanz amerikanischer Waren zu erzwingen, sondern vielmehr darum, den Status des US-Dollar als weltweiter Leitwährung zu bewahren. Seit dem 15. August 1971, also seit fast fünf Jahrzehnten, nutzen Washington und die Wall Street ihre Dominanz, um der Welt überteuerte Dollars aufzuzwingen, um Finanzblasen zu erschaffen und Schuldenberge unmöglichen Volumens anzuhäufen, die man dann irgendwann einstürzen lasst.

Eines muss man bei diesen sogenannten »Handelskriegen« Trumps begreifen: Es geht nicht im Geringsten um den Handel oder darum, Handels- oder Währungsschieflagen zu korrigieren, die mit Amerikas Exportpartnern bestehen mögen. Diese Welt haben Nixon und seine Berater bereits 1971 mehr oder weniger völlig hinter sich gelassen. Seit 1971 wurde die amerikanische Wirtschaft in eine Quelle von Einnahmen aus dem Finanzsektor verwandelt. Aus einer Volkswirtschaft, die vor allem Industriegüter produzierte, wurde eine, in der es bei sämtlichen Investitionen ausschließlich darum ging, aus Geld Geld zu machen. General Motors war Ende der 1960er-Jahre der weltgrößte Hersteller von Pkws und Lastwagen und ein Eckpfeiler der amerikanischen Wirtschaft. Dann stieg man mit dem Tochterunternehmen GMAC in das Geschäft mit Kfz-Krediten ein und ging im Kasino der Weltwirtschaft spielen.

Megabanken gerettet

Als im Marz 2007 die Immobilienblase in den USA platzte, flogen General Motors die Wetten um die Ohren, und das Unternehmen musste zu seiner Rettung verstaatlicht werden. Die Megabanken der Wall Street dagegen wurden vom Steuerzahler und der amerikanischen Notenbank Fed gerettet. Der Prozess zog sich über Jahrzehnte hin, mehr darüber können Sie in meinem Buch Der Untergang des Dollar-Imperiums nachlesen.

Im Jahr 2000 dominierten die Wall-Street-Banken und die Investmentfonds praktisch die gesamte amerikanische Volkswirtschaft. Arbeitsplätze in der Herstellung waren ins Ausland verlagert worden, man hatte sie »outgesourced«, aber nicht, wie behauptet, wegen der »gierigen Diebe« aus China, Deutschland oder sonst wo, sondern auf Druck derselben Wall-Street-Banken, die seit den 1980er-Jahren Unternehmen dazu getrieben hatten, sich ausschließlich auf ihren Aktienkurs zu konzentrieren und nicht darauf, wie es um ihre eigenen Produkte bestellt war.

Aufgeblähte Schuldenökonomie

»Leveraged Buyouts«, »Shareholder Value«, das waren die neuen Schlagwörter. Waren die Banken der Wall Street mit den Renditen eines Unternehmens nicht zufrieden, wurde rigoros der Chef des Konzerns ausgetauscht. Das hatte zur Folge, dass die Vereinigten Staaten heute in erster Linie eine Dienstleistungswirtschaft besitzen, eine von Schulden aufgeblähte Verbrauchsökonomie. In der Industrie ist man schon lange nicht mehr führend. Und jetzt verlangt das sogenannte »eine Prozent«, die amerikanischen Oligarchen, dass der Rest der Welt einen ähnlichen Tribut leistet, denn nur so lässt sich der nicht nachhaltige Aufbau von Schulden noch fortsetzen.

Trumps Handel- und Wirtschaftskrieg ist ein verzweifelter Winkelzug, mit dem man ein halbes Jahrhundert später zu wiederholen sucht, was in den 1970er-Jahren noch funktionierte. Amerikas einstmals große Industrie wurde zerstört. Ihre Wurzeln hat diese Entwicklung in den Ereignissen der 1970er-Jahre. Nach den 1930er-Jahren hatte die Keynes‘sche Wirtschaftslehre dominiert, die besagte, wenn der Staat sich verschulde, könne er negative Folgen von Rezessionen oder Depressionen abfedern.

Friedman als Guru

Nun jedoch setzte sich die Theorie von John D. Rockefeller III durch, die er in seinem Buch The Second American Revolution darlegte. In dem Werk macht er sich stark für freie Märkte, Deregulierung und die Privatisierung von Staatsbetrieben wie Stromversorgern, Wasserwerken und Autobahnen. Zur selben Zeit stand das Lager rund um den Ökonomen Milton Friedman von der Uni Chicago, das sich für freie Märkte einsetzte, an der Wall Street hoch im Kurs und wurde vom amerikanischen Finanzestablishment rund um Rockefeller bejubelt. Friedman wurde zum Guru der Lehre von der freien Marktwirtschaft und beriet während der 1980er-Jahre sowohl Ronald Reagan als auch Margaret Thatcher. Sein Dogma von der freien Marktwirtschaft setzte sich durch.

Das zentrale Ereignis rund um den Zoll- und Handelskrieg, den Washington bis heute führt, geht zurück auf die Ereignisse rund um den 15. August 1971. Damals beschloss US-Präsident Richard Nixon den Ausstieg aus der Golddeckung des Dollars. Nixons Entscheidung, den Dollar nicht länger durch Gold abzusichern, war nur ein Schritt in einer viel größeren Umwandlung, die dazu führte, dass sich die Welt in gigantischem Ausmaße verschuldete (aktueller Stand: geschätzte 233 000 Milliarden Dollar). Ein Großteil dieser Schuld ist in Dollar denominiert und wird von Zentralbanken gehalten, beispielsweise denen von China, Japan oder den EU-Staaten. Schon weit vor dem Sommer 1971 hatte die US-Regierung dem Kongress grünes Licht gegeben, Amerikas wichtigste Handelspartner (Japan, die Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [EWG], davon insbesondere die BRD und Frankreich) mit Handelsbeschränkungen zu belegen.

Ende der 1960er-Jahre hatten Japan und die EWG-Staaten die Zerstörungen aus den Kriegsjahren endgültig abgeschüttelt und machten rasche Fortschritte, weil sie ihre Industrietechnik ganz neu aufgebaut und dabei auf den neuesten Stand gebracht hatten. Amerikas Stahlwerke und Autofabriken dagegen stammten oftmals noch aus den Kriegszeiten oder den Jahren unmittelbar nach Kriegsende. Exporte aus Deutschland und Frankreich standen nicht nur in den USA hoch im Kurs. Die Folge: Die Zentralbanken dieser Länder begannen, enorme Dollar-Beträge anzuhäufen, 1971 waren es rund 61 Milliarden Dollar.

Das 1944 getroffene Abkommen von Bretton Woods sah vor, dass die Notenbanken ihre Dollars bei der Fed jederzeit in Gold umtauschen konnten. Die Goldreserven der Fed hatten sich einst auf 25 Milliarden Dollar belaufen, Anfang 1971 waren es gerade einmal noch 12 Milliarden Dollar, und der Trend setzte sich fort, denn mehr und mehr Notenbanken begannen, sich Sorgen wegen des Wertes ihrer überteuerten Dollars zu machen. Für die Wall Street war die Goldbindung ein Mühlstein, der die globale Macht Amerikas massiv beeinträchtigen konnte.

Gold und Dollar

Der Abkopplung vom Gold gingen Maßnahmen Washingtons voraus, die im Grunde nichts anderes als Erpressung waren. Durch ein neues, vom Kongress beschlossenes Gesetz wurden Einfuhrzölle verhängt, zunächst auf Textilien und Schuhe aus Europa und anderswo.

Im Raum stand die Drohung, auch Pkws und andere Waren aus Europa mit diesen Zöllen zu belegen. Im Mai 1970 drohte der amerikanische Finanzminister David Kennedy, der Kongresswerde Maßnahmen ergreifen, um Importe in die USA zu begrenzen, sollten Amerikas Handelspartner das Land nicht dabei unterstützen, mehr auszufuhren.

»Sind es nicht die Überschussländer, die eine besondere Verantwortung tragen, positive Maßnahmen zur Eliminierung [der Überschüsse] zu ergreifen?«, fragte Kennedy. Dabei wusste er sehr wohl, dass einer der zentralen Gründe für das Ungleichgewicht im Handel darin bestand, dass amerikanische Konzerne Wettbewerber in Europa und Asien aufkauften, was natürlich zu einem Leistungsbilanzüberschuss in jenen Ländern beitrug. Ein weiterer Grund war der, dass die Exporte der Vereinigten Staaten nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber den Produkten aus Europa und Japan waren.

Harter Kurs gegen Europa

Washington arbeitete mit einer Politik, die Europa »wohlwollende Vernachlässigung« taufte. Dazu gehörte es, Privatkapital frei vor allem nach Deutschland strömen zu lassen in der Absicht, das Währungsgleichgewicht innerhalb der EWG zu stören. Der deutsche Dollar-Überschuss explodierte. Hatte man den massiv überbewerteten Dollar abgewertet, hatte das den amerikanischen Exporten Schub verliehen und die Krise gelindert. Stattdessen forderte Washington, dass die EWG-Staaten und allen voran die BRD ihre eigenen Währungen aufwerten. Das machte ihre Exporte zu einem Zeitpunkt, an dem sie ohnehin anfällig waren, weniger konkurrenzfähig. Japan, so Washingtons Forderung, müsse den Yen um 20 Prozent aufwerten, ansonsten würden bestimmte Kategorien japanischer Exporte in die USA mit Strafzollen belegt.

Nixons Handelsminister Maurice Stans fuhr einen harten Kurs gegenüber Europa: »In vielerlei Hinsicht haben wir uns vom Rest der Welt brav aufs Kreuz legen lassen«, erklärte er. Der Ökonom Michael Hudson schrieb: »Die Vereinigten Staaten hatten Europa und Asien den Fehdehandschuh hingeworfen: Entweder unterwerft ihr euch oder schlagt unter Bedingungen zurück, bei denen die passende taktische Maxime lautet: »Greift den Anführer nur dann an, wenn ihr ihn auch wirklich töten könnt.«

Stattdessen knickten die Handelspartner ein und befolgten die Anweisungen. Das Handelsgesetz der USA war eine Proklamation: Die USA – und nur die USA als dominante Weltmacht – hatten eine Sonderstellung, was GATT und andere rechtliche Vereinbarungen, die mit anderen Partnern bestanden, anging. Unter Führung Frankreichs verlangen die Zentralbanken der EWG-Staaten – ausgenommen nur die Bundesrepublik, wo Washington den Bundesbankpräsidenten Karl Blessing massiv unter Druck setzte – wieder Goldrückzahlungen für ihre Dollar-Überschüsse. Schon 1966 war von deutscher Seite angedeutet worden, man überlege, die Dollar-Überschüsse gegen amerikanisches Gold einzulösen. Washington drohte daraufhin, wenn Deutschland den Dollar nicht langer »unterstütze«, werde man die amerikanischen Truppen von deutschem Boden abziehen.

Um weiteren Goldauszahlungen an die Verbündeten einen Riegel vorzuschieben, verkündete Richard Nixon am 15. August 1971 – an seiner Seite der damalige Staatssekretar im Finanzministerium Paul Volcker, ein ehemaliger Manager aus Rockefellers Chase Bank –, dass das Gold-Fenster bei der amerikanischen Notenbank dauerhaft geschlossen werde. Gleichzeitig verhängte Nixon einen zehnprozentigen Einfuhrzoll auf die meisten amerikanischen Importe. Auf diese Weise erpresste er die EWG und Japan, unbegrenzt Dollars zu akzeptieren, auch wenn sie nicht mehr goldgestützt waren – Dollars, deren nomineller Papierwert eine atemberaubende Inflation durchlaufen hat.

Selbst wenn man die verzerrten Inflationsberechnungen der US-Regierung als Maßstab heranzieht, ergibt sich folgendes Ergebnis: Gab 1970 ein US-Burger 385 Dollar für Lebensmittel, Kleidung und andere notwendige Dinge aus, muss er heute für dieselben Dinge 2529 Dollar hinblättern. Das ist eine Folge davon, dass Nixon die US-Währung vom Gold abkoppelte.

Golddeckelung beseitigt

Mit einem einzigen Federstrich hatten Nixon und die Wall Street die Bedrohung einer Golddeckelung ausländischer, in Dollar denominierter Schulden beseitigt. Die Schulden explodierten, und heute blicken Washington und die Wall Street auf eine dollarisierte Handelswelt, in der Sanktionen des US-Finanzministeriums als Kriegswaffen an der Tagesordnung sind und Freund und Feind gleichermaßen dazu zwingen sollen, Washingtons Forderungen ohne Murren zu erfüllen.

Ist China bereit, an diesem Dollar- System zu rütteln, wo doch ein Großteil der chinesischen Hightech-Produktion noch immer von amerikanischen Halbleitern, Prozessoren und anderer Technologie abhängig ist? Eben diese Abhängigkeit will Chinas Präsident Xi Jinping mit seiner Wirtschaftsstrategie »Made in China« bis 2025 aus der Welt schaffen. Und Ähnliches gilt für die EU: Konzerne, die auf dem amerikanischen Markt stark vertreten sind, wollen nicht Gefahr laufen, wegen Ölgeschäften und sonstiger Aktivitäten mit dem Iran zum Ziel von Sanktionen zu werden. Heutzutage twittert ein Präsident Trump Drohungen gegen Deutschland oder China, weil sie »Währungsmanipulatoren« seien – Drohungen, die nicht auf Fakten beruhen.

Weiter fordert er, dass die NATO-Verbündeten ihre Rüstungsausgaben deutlich steigern und mehr für das Privileg bezahlen, unter der militärischen Fuchtel des Pentagons existieren zu dürfen. Was die wirtschaftlichen Erpressermethoden der USA anbelangt, mag sich der Stil seit den 1970er-Jahren geändert haben, der Inhalt ist derselbe geblieben.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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